Interessenabwägung im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung muss auch das Verhalten des Arbeitgebers berücksichtigen
Leitsätze
- Bei der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist im Rahmen des § 626 BGB auch das eigene Verhalten des Arbeitgebers zu bewerten.
- Da die Beklagte selbst eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist angeboten hatte, kann nicht angenommen werden, dass das Verhalten der Klägerin derart gravierend war, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zu einer Beendigung im Rahmen einer ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war.
(amtliche Leitsätze)
Sachverhalt
Die Klägerin hatte an vier Tagen in zwei Monaten den Arbeitsbeginn um insgesamt 135 Minuten zu früh in der entsprechenden Excel-Tabelle angegeben. Die Klägerin wurde zu diesem Verhalten vom Arbeitgeber angehört. In dem entsprechenden Gesprächsvermerk der Beklagten heißt es hierzu u.a.: “Daher würde nur eine außerordentliche Kündigung in Frage kommen. Der Ausstieg könne aber in Interessenabwägung so gestaltet werden, dass der Schaden begrenzt wird. Z.B. könne das Arbeitsverhältnis bis Ende des Jahres bestehen bleiben, damit Frau L. ausreichend Zeit habe, sich eine neue Beschäftigung zu suchen und sie die Jahressonderzahlung erhalte.”
Die Klägerin lehnte eine Einigung ab und klagte gegen die daraufhin ausgesprochene außerordentliche Kündigung und bekam in II. Instanz Recht.
Grundsätze der Entscheidung
“Nehme ein Arbeitgeber einen bestimmten Kündigungssachverhalt nicht zum Anlass, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen, sondern gewährt er dem Arbeitnehmer eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende soziale Auslauffrist in der erklärten Absicht, den Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist auch tatsächlich zu beschäftigen, so werde das eigene Verhalten des Arbeitgebers regelmäßig den Schluss zulassen, dass ihm auch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war, also kein wichtiger Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgelegen habe.
Die Beklagte hatte in dem Gespräch der Klägerin eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Jahresende angeboten, dies wären 6 Wochen zum Quartalsende gewesen. Laut den Erörterungen im Berufungstermin hat die Arbeitgeberin in diesem Gespräch mehrere Möglichkeiten von sich aus ins Gespräch gebracht: Eine Weiterbeschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz, eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Dienstposten oder auch eine Freistellung von der Arbeit. Näheres ist zwischen den Parteien deswegen nicht erörtert worden, weil die Klägerin eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2017 ablehnte.
Allein deswegen ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unwirksam.
Es muss nicht entschieden werden, ob die Kündigung vom 27.10.2017 als ordentliche Kündigung wirksam wäre. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Beklagte hat den bei ihr bestehenden Personalrat ausschließlich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung angehört, alternativ im Sinne einer Interessenabwägung zu einem Auflösungsvertrag zum 31.12.2017. Nach der Rechtsprechung des BAG kann eine unwirksame außerordentliche Kündigung nur dann in einen wirksame ordentliche umgedeutet werden, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Anhörung deutlich darauf hingewiesen hat, dass diese Kündigung hilfsweise als ordentliche gelten soll. Allenfalls dann, wenn der Betriebsrat ausdrücklich und vorbehaltlos der außerordentlichen Kündigung zugestimmt hat und einer ordentlichen Kündigung erkennbar nicht entgegengetreten wäre, reicht die wirksame Anhörung zur außerordentlichen Kündigung auch im Hinblick auf eine ordentliche Kündigung aus (BAG 20.09.1984 – 2 AZR 633/82 -).”
Ausblick
Es ist unklar, ob die Entscheidung rechtskräftig wurde. Der Arbeitgeber konnte Nichtzulassungsbeschwerde erheben. Die Wahrscheinlichkeit, dass das BAG die Revision zulässt, ist aber gering.
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Entweder ein Arbeitgeber meint, einen wichtigen Grund zu haben, dann muss er jede Weiterbeschäftigung ablehnen. Wichtig für betroffene Arbeitnehmer ist es, solche Angebote auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu dokumentieren oder durch anwesende Personen, z.B. ein Betriebsratsmitglied, bezeugen zu lassen.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.06.2018 – 15 Sa 214/18 –