Aufhebungsvertrag und Sperrzeit LSG Sachsen, Beschluss v. 17.02.2021

Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags führt bei anschließender Arbeitslosigkeit oft zum Eintritt einer sogenannten Sperrzeit.

Wann tritt eine Sperrzeit ein?
Was gilt bei Unkenntnis oder einem Irrtum über die Rechtsfolgen?
Wer muss die Voraussetzungen einer Sperrzeit beweisen?

Es ist allgemein bekannt, dass der Abschluss eines Aufhebungsvertrags bei späterem Bezug von Arbeitslosengeld problematisch ist. Neben weiteren sozialversicherungsrechtlichen Problemen (z. B. § 158 SGB III) ist vor allem die „Sperrzeit“ als Stichwort bekannt.

Die Voraussetzungen des Eintritts einer Sperrzeit werden aber oft verkannt.

Das Landessozialgericht Sachsen hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Beschluss vom 17.02.2021 (L 3 AL 5/21 B ER) zusammengefasst und bestätigt.

Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (§ 159 SGB III)

Nach § 159 Abs. 1 Satz 1SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Die Sperrzeit soll die Solidargemeinschaft der Versicherten davor schützen, Arbeitslosengeld an Personen zu zahlen, die den Eintritt der Arbeitslosigkeit selbst herbeiführen oder zu vertreten haben;

Der Eintritt einer Sperrzeit hat also 2 Voraussetzungen:

  • Versicherungswidriges Verhalten
  • Ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes

Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis selbst gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat. Die bzw. der Arbeitslose muss dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt haben.

Ein Aufhebungsvertrag kann nur mit Zustimmung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers geschlossen werden. Daher hat ein Arbeitnehmer  bei Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags sein Arbeitsverhältnis „selbst gelöst“. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags ist objektiv betrachtet daher immer sperrzeitrelevant. Allerdings kann es Fälle geben, in denen der bzw. dem Arbeitslosen kein Vorsatz oder keine grobe Fahrlässigkeit für den Eintritt der Arbeitslosigkeit vorgeworfen werden kann.

Außerdem soll eine Sperrzeit nur eintreten, wenn der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 21. Oktober 2003, B 7 AL 92/02 R). Ein(e) Arbeitslose(r) kann sich daher unter Umständen auf einen wichtigen Grund berufen. Dabei muss der wichtige Grund nicht nur die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern gerade auch den konkreten Zeitpunkt der Lösung decken.

Wann liegt Vorsatz / grobe Fahrlässigkeit vor?

Grobe Fahrlässigkeit liegt gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist.   Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes führt ein Arbeitnehmer bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbei, wenn er nicht mindestens konkrete Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hat (Bundessozialgericht, Urteil vom 2. Mai 2012, B 11 AL 6/11 R).

Eine bloße Erwartung, dass ein neues Beschäftigungsverhältnis zustande kommen würde, genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr eine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Mai 2003, B 7 AL 4/02 R). Außerdem wird im Falle eines beruflichen Wechsels regelmäßig erwartet, dass der Wechsel in das Anschlussarbeitsverhältnis nahtlos erfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2006, B 11 a AL 55/05 R).

Immer dann, wenn bei Abschluss des Aufhebungsvertrags unsicher ist, ob Arbeitslosigkeit eintreten wird, liegt also schon grobe Fahrlässigkeit vor.

Wann liegt ein wichtiger Grund vor?

Ein wichtiger Grund ist immer dann anzuerkennen, wenn der bzw. dem Arbeitslosen ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann. Dies kann u. a. der Fall sein, wenn

  • Der Arbeitgeber ohne Abschluss des Aufhebungsvertrags rechtmäßig betriebsbedingt oder personenbedingt (nicht: verhaltensbedingt) gekündigt hätte und der Aufhebungsvertrag mit Vorteilen für die bzw. den Arbeitslosen verbunden ist, die sie bzw. er sonst nicht erhalten hätte;
  • Der Arbeitgeber mit einer betriebsbedingten oder personenbedingten (nicht: verhaltensbedingten) Kündigung gedroht hat und eine Abfindung von bis zu 0,5 Monatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit gezahlt wird;
  • Der Arbeitgeber selbst erheblich gegen gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Pflichten verstoßen hat und dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist
  • Erheblicher psychischer Druck, Mobbing, o. ä. vorliegt oder dem Arbeitnehmer die Arbeit nach seinem Leistungsvermögen nicht zumutbar ist;
  • die (nahtlose) Aufnahme einer befristeten Beschäftigung mit einem Wechsel in ein anderes Berufsfeld und der damit verbundenen Erlangung zusätzlicher beruflicher Fertigkeiten verbunden ist.

Achtung: Dies sind weder abschließend aufgelistete Fälle noch ersetzen diese Eckdaten eine konkrete Prüfung im Einzelfall !

Die bloße Zusage einer Abfindung ist für die Annahme eines wichtigen Grundes nie ausreichend.

Ein wichtiger Grund kann auch nur anerkannt werden, wenn die bzw. der Arbeitslose erfolglos einen zumutbaren Versuch unternommen hat, die Ursachen zu beseitigen (oder ein solcher Versuch erfolglos geblieben wäre) und der Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht in die Zukunft verschoben werden konnte

Was gilt bei Unkenntnis oder Irrtum der bzw. des Arbeitslosen?

Auf eine Rechtsunkenntnis oder einen Irrtum über die Rechtsfolgen des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages kann sich ein(e) Arbeitslose(r) nicht berufen.

Ein Irrtum ist vermeidbar, wenn die betroffene Person das erforderliche Problembewusstsein hatte oder haben konnte. In den meisten Aufhebungsverträgen verweisen Arbeitgeber außerdem pauschal über mögliche sozialversicherungs- und steuerliche Folgen. Das genügt, um das Bewusstsein zu wecken.

Es wird also erwartet, dass ein(e) Arbeitnehmer(in) vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags Rechtsrat einholt, sei es bei einem Rechtsanwalt, der Agentur für Arbeit oder einer sonstigen Beratungsstelle (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2015, L 11 R 3898/14).

Wer muss den Eintritt einer Sperrzeit beweisen?

Die Sperrzeit ist keine Entscheidung der Agentur für Arbeit. Vielmehr muss die Agentur für Arbeit prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind. Dann tritt eine Sperrzeit ein. Der Sperrzeitbescheid ist insofern nur das Ergebnis der Prüfung durch die Agentur für Arbeit. Daher muss die Agentur für Arbeit den Sachverhalt ermitteln.

Hier muss nach den 2 Voraussetzungen unterschieden werden:

Das Vorliegen eines versicherungswidrigen Verhaltens muss der bzw. dem Arbeitslosen nachgewiesen werden können. Die Bundesagentur für Arbeit trifft hier die Pflicht zur Ermittlung aller Umstände von Amts wegen und auch die objektive Beweislast (Bundessozialgericht, Urteil vom 26. November 1992, 7 Rar 38/92). Verbleiben also am Ende Zweifel, darf kein versicherungswidriges Verhalten unterstellt werden.

Ist allerdings versicherungswidriges Verhalten gegeben, muss anders herum gemäß § 159 Abs. 1 Satz 3 SGB III  „die Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, die für die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen“. Die Beweislast für einen wichtigen Grund liegt also bei der  bzw. dem Arbeitslosen. Verbleiben Zweifel, wird ein wichtiger Grund verneint.

Es ist daher für eine(n) Arbeitnehmer(in) ganz besonders wichtig, die Frage nach dem wichtigen Grund vor Abschluss des Aufhebungsvertrags genau zu prüfen und wenn möglich auch tragfähige Beweise zu haben, die im Rahmen der Überprüfung durch die Agentur für Arbeit vorgelegt werden können.

Was sind die Folgen einer Sperrzeit?

Tritt eine Sperrzeit ein, hat dies vorrangig zwei Folgen:

  • Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld von 12 Wochen (§ 159 Abs. 3 Satz 1 SGB III)
  • Minderung der Anspruchsdauer um ¼ der regulären Anspruchsdauer (§ 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III)

(In besonderen Härtefällen kann das Ruhen verkürzt werden. Die Minderung der Anspruchsdauer kann bei Ablauf eines Jahres entfallen.)

Die Sperrzeit führt also in der Regel zu erheblichen Einkommenslücken und zu einer deutlichen Reduzierung der Bezugsdauer!

Unser Tipp:
Schließen Sie einen Aufhebungsvertrag nie ohne vorherige Rechtsberatung ab!
Eile ist hier kein guter Ratgeber. Wir informieren Sie, klären mit Ihnen die Risiken und helfen Ihnen, ggfs. eine Sperrzeit zu vermeiden. Oft lassen sich auch bessere Vertragsbedingungen aushandeln.

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Ist ein Aufhebungsvertrag unterschrieben, ist er in der Regel verbindlich. Es gibt aber Ausnahmefälle, in denen ein Vertrag angefochten werden kann. Melden Sie sich in diesem Fall sofort, damit wir Ihnen helfen können.